Klaus-Peter Wolf: OSTFRIESENSTURM

Mörderjagd in Krisenzeiten

3. März 2022

Mitten in der Pandemie geht ein Killer um und bringt Kommissarin Klaasen und ihr Team an ihre Grenzen. Rasant und kenntnisreich erzählt „Ostfriesensturm“ von Ermittlungen unter schwierigsten Bedingungen. Der Krimi ist Klaus-Peter Wolfs bislang persönlichster Roman.

Das Virus hat die ostfriesischen Inseln fest im Griff: Feriengäste werden nach Hause geschickt, Zweitwohnsitze sind plötzlich illegal und müssen geräumt werden. Eine schwierige Situation für die Tourismusregion – und für Kommissarin Ann Kathrin Klaasen: In einer Ferienwohnung wird ein Toter gefunden. Kommissar Rupert vermutet, hier habe sich eine Ehefrau an ihrem untreuen Mann gerächt. Ann Kathrin Klaasen glaubt, das organisierte Verbrechen habe einen Verräter beseitigt. Sie und ihr Team nehmen Ermittlungen auf, aber die gestalten sich im Corona-Regelwerk noch komplizierter als sonst, und dann taucht plötzlich eine zweite Leiche auf.

Es ist ein düsterer, verzwickter Fall, den Klaus-Peter Wolf für den 16. Band seiner Ostfriesenkrimi-Reihe entworfen hat und der Ann Kathrin und ihrem Team viel Fingerspitzengefühl abverlangt. Welche Rolle spielt der 17-jährige Niklas, der mit seiner Mutter eine fragwürdige Methode entwickelt hat, um sich den ständig betrunkenen Vater vom Leib zu halten? Wie passt der schmierige Uwe Spix ins Bild, der Niklas’ Mutter zum Sex erpresst? Und wie die von zahlreichen Phobien geplagte Anke, die sich verbotenerweise in ihrer Ferienwohnung verbarrikadiert hat? Als Niklas unvermittelt ins Visier der polizeilichen Ermittlungen gerät, muss Ann Kathrin all ihren kriminalistischen Spürsinn aufbieten, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.

„Ostfriesensturm“ dürfte Wolfs bislang persönlichster Roman sein, denn anhand der Figur des Teenagers Niklas lässt er traumatische Ereignisse aus seiner eigenen Jugend in die Handlung einfließen. „Ich habe mehr als 14 Jahre Therapie gebraucht, um mit den Erinnerungen an meine Kindheit fertigzuwerden“, sagt er. „Sie sind vermutlich immer noch Antriebsfeder für mein Schreiben. Des­wegen bin ich so sehr an der Frage nach Gut und Böse, Richtig und Falsch interessiert.“ Diese Frage verfolgt Wolf mit scharfem Blick und viel Einfühlungsvermögen, wobei er die Reise in die Abgründe menschlichen Denkens und Handelns freilich immer wieder mit feinem Humor auflockert – etwa wenn Kommissarin Klaasens Team versehentlich an eine Dose mit Haschkeksen gerät und eine Besprechung zum kuriosen Durcheinander wird.

Ich wollte nicht die Anonymität der Großstadt. Bei mir kommt der Grusel daher, dass etwas Bekanntes plötzlich seine dunkle Seite offenbart.

Klaus-Peter Wolf

Sehnsuchtsort Ostfriesland

 

So entsteht ein Roman, der Raffinesse mit Tiefgang und Spritzigkeit mit Spannung zu verbinden weiß und in dem nicht zuletzt die ostfriesische Landschaft eine Hauptrolle spielt. Wolf erzählt von Möwenkolonien in den Salzwiesen, von Wildgänsen und schreckhaften Schafen, vom Meer, an dem Ann Kathrin und ihr Mann gern spazieren gehen. „Die Landschaft ist ein Prot­ago­nist meiner Romane“, meint er. „Sie verändert sich ständig. Kein Blick aufs Meer ist wie der zweite, uch nicht zur gleichen Tageszeit an der gleichen ­Stelle.“ Ostfriesland war für den in Gelsen­kirchen aufgewachsenen Autor immer ein Sehnsuchtsort; hier leben zu können, empfindet er als Privileg. Und so setzt er in seinen Büchern der Region ein Denkmal, ihren Deichen und Hügeln – und ihren Menschen, deren unverbrüchliche Gelassenheit in seinem Roman einen Kollegen aus Wiesbaden schier rasend machen kann.

Das fast familiäre Umfeld unterscheidet Wolfs Romanreihe von anderen Krimiserien: Ann Kathrin Klaasen und ihr Team ermitteln in der Nachbarschaft, befragen Menschen, mit denen sie am Vorabend zusammensaßen, enthüllen Abgründe im Vertrauten. „Ich wollte nicht die Anonymität der Großstadt“, erklärt Klaus-Peter Wolf. „Bei mir kommt der Grusel daher, dass etwas Bekanntes plötzlich seine dunkle Seite offenbart.“  

Ideen schöpft er aus seinem Alltag. „Das Leben ist der Steinbruch für meine Geschichten“, sagt er und lächelt fein. „Zunächst fällt mir etwas auf, dann fällt mir dazu etwas ein.“ Und so besteht keine Gefahr, dass ihm irgendwann die Einfälle ausgehen könnten: „Ich werde von so vielen Ideen geflutet, dass ich aussortieren muss. Das ist manchmal ein schmerzhafter Prozess, so als müssten Sie zu einer Party ein paar Freunde ausladen, weil die Wohnung nicht groß genug ist.“ Um die nächsten Bände der Ostfriesen-Krimireihe muss man sich also keine Sorgen machen. 

Irene Binal

Klaus-Peter Wolf
Ostfriesensturm

FISCHER Taschenbuch, 
560 S., 13,– €, 
ISBN 978-3-596-70003-5

"Die Pandemie hat  meine Fantasie  beflügelt"

„Ostfriesensturm“ ist der 16. Band der Reihe. Hätten Sie erwartet, dass sie so umfangreich wird?
Klaus-Peter Wolf:
 Die Reihe war von vornherein auf viele Tausend Seiten angelegt. Ich dachte, wenn man später alle Bücher nebeneinanderlegt, kann man sagen: „So haben die damals gelebt, das waren die Lügen, auf die sie hereingefallen sind, ihre Irrtümer und Sehnsüchte.“ Der Kriminalroman schien mir die richtige Form, um in die Abgründe der Gesellschaft zu schauen.

Der neue Roman spielt mitten in der Corona-Pandemie …
Klaus-Peter Wolf:  Der Ausbruch der Pandemie war eine Steilvorlage. Es gibt völlig neue Verbrechen und die Ermittlungsmethoden verändern sich. Hier in Ostfriesland durften die Menschen plötzlich nicht mehr in ihren Ferienwohnungen sein, brave Bürger waren auf einmal illegal, Autos wurden versteckt, Nummernschilder verräterisch. Natürlich hat das meine Fantasie beflügelt.

In Ihren Büchern lassen Sie reale Personen auftreten, etwa Ihre Frau Bettina Göschl.  Wie lebt es sich im Grenzbereich zwischen Realität und Fantasie?  
Klaus-Peter Wolf:  In diesem Grenzbereich bin ich zu Hause. Wenn ich meine realen Freunde im Roman agieren lasse, habe ich das Gefühl, sie sprechen zu hören und ich schreibe nur mit. Später erzähle ich ihnen dann, in welch schwieriger Situation sie im Roman stecken. Dann werde ich oft gefragt: „Und wie komme ich da wieder raus? Überlebe ich?“

Sie haben einmal gesagt, Schreiben sei für Sie wie Atmen. Was tun Sie in der „atemlosen“ Zeit zwischen zwei Büchern?
Klaus-Peter Wolf:  Es fällt mir immer schwer, einen Roman zu beenden. Das ist, als wäre die Party vorbei, die Gäste gehen heim und ich bleibe in der schmutzigen Wohnung zurück. Deswegen schreibe ich den letzten Satz eines Romans erst dann, wenn ich gleich mit dem ersten Satz des nächsten Romans beginnen kann. Mein Verlag bekommt also nicht nur einen neuen Roman, sondern auch gleich die ersten zehn Seiten des nächsten. Das ist ein Versprechen an mich selbst, weiterzuschreiben, und natürlich auch an meine Leserinnen und Leser.

Interview: Irene Binal

Über den Autor

Klaus-Peter Wolf, 1954 in Gelsenkirchen geboren, ist einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren. Seine Ostfriesenkrimis mit Haupt­kommissarin Ann Kathrin Klaasen ­stehen regelmäßig auf Platz 1 der Bestseller­listen und werden fürs ZDF verfilmt. Er hat zudem mehr als 60 Drehbücher für Serien wie „Polizeiruf 110“ und „Tatort“ geschrieben. Klaus-Peter Wolf lebt mit seiner Frau, der Kinderbuchautorin Bettina Göschl, seit 2003 in der ostfriesischen Stadt Norden.

www.klauspeterwolf.de