Sieben auf einen Streich!
Wer keines kennt, war nie Kind. Märchen sind aber nicht nur eine bewährte Einschlafhilfe für Jüngere, sondern auch das Reich zahlreicher Redensarten. Rolf-Bernhard Essig weiß so ziemlich alles darüber.
Wer keines kennt, war nie Kind. Märchen sind aber nicht nur eine bewährte Einschlafhilfe für Jüngere, sondern auch das Reich zahlreicher Redensarten. Rolf-Bernhard Essig weiß so ziemlich alles darüber.
Er stellt sich dem Drachen; sie stellt sich an wegen einer Erbse unter zig Matratzen. Wenn Kühnheit und Wehleidigkeit so klar auf die Geschlechter verteilt sind, befinden wir uns zweifellos im Reich der Märchen – die auch sprachlich massenhaft Einprägsames zu bieten haben, wie Rolf-Bernhard Essig weiß.
Denn Geschichten, die Kinder oft als Einschlafhilfe nutzen, sind für ihn ein ertragreicher Forschungsgegenstand. Kein Hexenwerk: In seinem ebenso informativen wie amüsanten Buch erläutert der Germanist und Historiker die Bedeutung und Herkunft von mehr als 200 sprichwörtlichen Redensarten aus dem Umfeld von Rapunzel, Rumpelstilzchen & Co.: von „Aller guten Dinge sind drei“ über „Spieglein, Spieglein, an der Wand“ bis „zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“. Dabei interessiert den Autor insbesondere der „Grimm-Sound“. Die Brüder förderten nämlich geschickt die Popularität ihrer Märchensammlung, indem sie gebräuchliche Sprachbilder wie „die Nadel im Heuhaufen suchen“ oder „mit Haut und Haaren“ forcierten. Sogar das dunkle Image von „stiefmütterlich“ geht auf ihr Konto.
Trotzdem will Rolf-Bernhard Essig die Klassiker nicht in den Giftschrank einschließen, sondern propagiert das unerschrockene Gegen-den-Strich-Lesen. Schließlich steht Aschenputtel nicht nur für weibliche Fügsamkeit, sondern spannt clever die Tauben zum Linsensortieren ein, und Frau Holle reüssiert bei biederem Tun als „personifizierte Naturkraft“. • Andrea Rinnert