Hitchcock soll gesagt haben, man könne nur einen schlechten Roman verfilmen. Ja, weil es dann nur um den Plot geht, das kann ich nachvollziehen. Wenn man einen Krimi liest, drei Männer, eine Bank, muss das Buch nicht gut sein, man nimmt nur das Handlungsgerüst. Danach beginnt aber erst das Kino.
Sie sind bekannt dafür, sich mit Ihren Schauspieler:innen vor dem Dreh ausgiebig vorzubereiten, gemeinsam Referenzfilme zu schauen. Gehört bei einer Buchverfilmung wie „Transit“ die gemeinsame Lektüre dazu? Nein, denn ich gebe den Schauspieler:innen nur Material an die Hand, aber keine Psychologismen. Ich finde, die Imagination müssen sie sich selber bauen, die darf ich ihnen nicht vorgeben.
Wie stimmen Sie sie dann auf das Projekt ein? Ich erzähle ihnen, was ich gelesen habe, als ich am Drehbuch saß, welche Musik ich gehört, an welche Filme ich gedacht habe, dann fahre ich mit ihnen an die Orte, an denen wir drehen werden. Das mache ich so ein paar Wochen vor Drehbeginn. Und wenn sie anschließend das Drehbuch noch mal allein lesen, füllt sich das auf. Es ist nicht mehr nur ein Drehbuch, in dem sie mit Eddings ihre jeweiligen Parts markieren, sondern ein imaginärer Raum, den sie nun betreten können.
Sind Drehbücher Literatur? Nein. Überhaupt nicht. Bei mir sagen die Schauspieler:innen zwar immer, das wäre Literatur, aber es ist keine. Ich lese auch selbst keine Drehbücher. Und sind Theaterstücke Literatur? Nein, würde ich sagen, vielleicht bis auf die von Tchechow und Shakespeare.
Welche Rolle spielen Dialoge? Die schönsten Dialoge im Kino sind, wenn die Leute am Tisch sitzen und der eine zu dem anderen sagt: „Kannst du mir mal bitte das Salz reichen?“ Und in diesem Satz, in dem Timing, in den Blicken, die diesen Satz umgeben, steckt manchmal eine ganze Ehe oder die Vernichtung einer Ehe. So was findet im Kino statt, denn nur das Kino sieht diesen Blick. Keine andere Kunst kann das. Das Theater ist zu weit weg, es braucht den Zuschauerraum als Spiegel.
Wie stehen die Imagination des Buchs und die des Films zueinander? Naturbeschreibungen in Büchern zum Beispiel kann man nicht gebrauchen. Sie sind ja meistens nicht die Beobachtung von wirklicher Natur, sondern Reflexion darüber. Das Kino erarbeitet sich die Welt auf eine andere Weise, es spiegelt sie, es nähert sich ihr, verändert sie durch Objektive, durchs Licht, durch die Postproduktion. Aber letztlich ist Welt da, sie ist vor dem Wort, und was vor dem Wort ist, das ist das Kino. Und die schönsten Momente sind die sprachlosen, wenn die Wirklichkeit in ihrer Bedeutungslosigkeit beleuchtet wird.
Haben Sie ein Beispiel? Wenn bei Nuri Bilge Ceylan in seinem vorletzten Film ein Mann eine Straße entlanggeht und auf einem Feld junge Frauen sieht, die das Feld abernten, und dann kommt eine der Frauen mit Kopftuch angelaufen. Er war lange Jahre weg, und eigentlich waren sie einander versprochen, man merkt das aber nur so am Rande, und sie bittet ihn um eine Zigarette. Damit die anderen Frauen sie nicht rauchen sehen, verbergen sie sich unter einem Baum. Sie nimmt die Zigarette, dann kommt ein Windstoß und beide schauen hoch und sehen die Baumkronen sich im Wind bewegen. Ich glaube, so einen Moment von Liebe und gleichzeitig auch des Sichversäumens, wie soll ich das beschreiben. Das ist Kino.
Könnten Sie sich vorstellen, selbst ein Buch zu schreiben? Ich lese ja sehr gern Literatur, aber selbst zu schreiben würde mich langweilen. Ich schreibe gerade an meinem 19. oder 20. abendfüllenden Film. Alle selber geschrieben. Da kann man ja sagen, das ist auch schon ein Gesamtwerk. Ich hätte überhaupt keine Lust, eine Zeile zu schreiben, die nicht für einen Film gedacht ist. Wenn ich einen Roman schriebe, würde er am Ende sowieso ein Drehbuch werden.
Merkt man am Spiel, ob Schauspieler:innen selbst viel lesen? Ja, das merkt man. Auch qualitativ. Bei guten Schauspielern spürt man die Demut gegenüber dem Text. •