Hier geht’s um alles!
Die Frankfurter Buchmesse feiert ihr 75-jähriges Jubiläum. Eine gute Gelegenheit, sich intensiver mit dem weltgrößten Branchentreff zu beschäftigen und ein paar Glückwünsche auszurichten.
Die Frankfurter Buchmesse feiert ihr 75-jähriges Jubiläum. Eine gute Gelegenheit, sich intensiver mit dem weltgrößten Branchentreff zu beschäftigen und ein paar Glückwünsche auszurichten.
Vielleicht sollte man Jo Lendle zitieren, um der Besonderheit der Frankfurter Buchmesse auf die Spur zu kommen. Im Gegensatz zu den anderen Messen mit spitzeren Profilen, sagt er, sei in Frankfurt immer alles vertreten: „Die Autorinnen und Autoren, der Buchhandel, das Feuilleton, viele Politiker und dazu all die Verlage und Agenturen aus der ganzen Welt. Das macht Frankfurt für mich aus: die Gleichzeitigkeit aller Aspekte unserer Arbeit.“
Unüberhörbar, der Hanser-Verleger ist ein männlicher Groupie der Frankfurter Verlagsschau, doch auch jenseits dieser persönlichen Perspektive lassen sich viele Hinweise finden, dass in den vergangenen Jahrzehnten etwas Großes am Main gewachsen ist: ein Schaufenster für die nationale und internationale Literatur, für die Bedeutung des Buchs an sich, eines, das die Transformation ins digitale Zeitalter mit der vielfältigen Konkurrenz zur gedruckten Lektüre erlebt hat und weiterhin einmal im Jahr das öffentliche Interesse erregt.
Im letzten Jahr vor Corona kamen mehr als 300 000 Besucher:innen zur Messe (1949: 13 500), 70 Prozent der knapp 7 500 Ausstellenden waren aus dem Ausland. Mehr als 4 000 Veranstaltungen fanden auf dem Gelände der Messe, in Frankfurt und in der Rhein-Main-Region statt und trugen Bücher, Autor:innen und Themen in die gesellschaftliche Mitte hinein. Dass die Pandemie-Delle eine Ausnahme bleibt, dafür sprechen erste Zahlen: In diesem Jahr ist das Literary Agents & Scouts Centre bereits ein Vierteljahr vor Beginn der Messe ausgebucht und im neuen Publishers Rights Centre wird Vollbelegung erwartet. Eine im vergangenen Jahr vielversprechend begonnene Partnerschaft mit TikTok soll zudem die wachsende, zumeist junge „BookTok“-Community auf das Messegelände ziehen.
Was die Frankfurter Buchmesse seit jeher war: der Ort, an dem die jeweils aktuellen gesellschaftlichen und politischen Diskussionen ausgetragen wurden, konsequent und durchaus mit Härte (siehe nebenstehende Chronik). Im vergangenen Jahr zur Protestbewegung im Iran, zum Krieg in der Ukraine und zu den Spaltungstendenzen in der Gesellschaft. Und in diesem Jahr? Wir werden sehen. • MM
Die Frankfurter Buchmesse findet zwar jährlich statt, hat aber jedes Jahr einen ganz eigenen Charakter. Und so spiegeln die vergangenen Ausgaben auf ihre Art auch die jeweilige Zeit wider. Eine kurze Coming-of-Age-Geschichte zum Staunen und Nachdenken.
Die Buchmesse lernt im Lauf der Jahre viele Sprachen. Ein gefördertes Einladungsprogramm sorgt dafür, dass sich auch kleinere Verlage aus fernen Ländern die Teilnahme leisten können. Dominieren die 205 deutschen Verlage 1949 noch deutlich die Messe, so ist bereits 1953 von den 989 Ausstellenden die Mehrzahl aus dem Ausland. Im Vor-Corona-Jahr 2019 freute sich die Gastgeberin über 7 450 Anmeldungen aus 104 Ländern.
Wer bietet den schönsten? Messestände sind die Visitenkarten der Verlage und werden immer üppiger gestaltet, beleuchtet und bewacht. Der Taschen Verlag baute 2003 sogar eine Boxkampfarena auf – für einen Bildband über die damals schon an Parkinson erkrankte Boxkampflegende Muhammad Ali, der eigens anreiste. 1949 musste sich jeder Verlag für die Präsentation noch auf eine 2-Quadratmeter-Platte mit vier Leisten quetschen – für 100 DM.
Das Buchmessepublikum ist aufmerksam und engagiert. Kein Wunder, dass über zahlreiche brisante Themen gestritten wird: Der Friedenspreis geht 1968 an den senegalesischen Staatschef Léopold Sédar Senghor. Ist er ein Mittler für Afrika und Europa oder ein Diktator? 1997 streitet man über die Rechtschreibreform: Viele Jugendbuchverlage wollen sie, viele Schriftsteller:innen nicht. 1998 macht das Bundesverfassungsgericht einen Haken dran, lehnt die Verfassungsbeschwerde ab.
Der Ehrengast von 2009, China, war wegen seines Umgangs mit kritischen Stimmen im eigenen Land umstritten. Einige Autor:innen wurden wieder ausgeladen. Nach einem diplomatischen Drahtseilakt blieb die Stimmung getrübt. Tunesischer Frühling, LGBTQ*-Bewegungen, Klimademo. Das Motto der 2019 von den Veranstalter:innen ins Leben gerufenen Kampagne „Create Your Revolution“ ermuntert dazu, Kultur als Beitrag zu einer positiven Veränderung der Welt zu verstehen.
Ob rechte und neonazistische Verlage ausstellen dürfen oder ob der Ausschluss rechtens wäre, bleibt Thema. Schon 1955 gab es Ausstellende, die einen neonazistischen Verlag über Nacht heimlich aus der Halle entfernten. 2017 musste gar die Polizei eingreifen, als es bei Veranstaltungen dieses politischen Spektrums zu Tumulten kam. Weil es 2021 vertreten ist, kommt es zu Boykottaufrufen und wird wieder zu einem dominierenden Messethema.
Den ersten internationalen Schwerpunkt setzt 1976 Lateinamerika. Ab 1988 wird das Konzept, über den literarischen Tellerrand zu schauen, mit dem „Gastland“ (oder auch einer Gastregion) verfeinert; zum Auftakt darf Argentinien seine Bücher auspacken. Peu à peu zeigt sich der Erfolg; der Literatur der Gastländer werden international die Türen geöffnet. 2007 gibt es mit der Region Katalonien einen eher umstrittenen Gast, 2012 mit Neuseeland den mit der weitesten Anreise. Flandern und die Niederlande, Brasilien, Spanien und Italien (2024) waren übrigens alle schon zwei Mal da. 2023 steht ein junges europäisches Land im Fokus: Slowenien! • PG