Schminke, Reisen, Fitness – mit „Influencer:innen“ assoziieren viele: Profile in sozialen Netzwerken, auf denen normschöne Menschen Lifestyleprodukte in die Kamera halten. Mit einem verengten Themenspektrum von Infinity-Pool bis Partyrezept wird man der Branche allerdings längst nicht mehr gerecht. Zwar belegen die Spitzenpositionen bei der Followerschaft auf Instagram, TikTok und Co. unverändert solche Themen, doch immer mehr kleine und mittlere Accounts sensibilisieren für gesellschaftspolitische Problemfelder und haben die Plattformen als Schauplatz relevanter Debatten etabliert.
Diesen Trend spiegeln auch die Sachbuch-Programme der Verlage. „Viele aktuelle Themen werden nicht mehr exklusiv im Fernsehen oder in den Printmedien diskutiert“, sagt Anne Stadler, Programmleitung Sachbuch beim Piper Verlag. Stimmen, die auf Social Media Gehör fänden, seien „auch für uns interessant“. Schwierigkeiten habe sie indes mit dem Begriff „Influencer:in“ – eine Einschätzung, die sie mit vielen Influencer:innen teilt.
Die Germanistin Teresa Reichl seziert auf ihren Profilen den deutschen Literaturkanon und gibt parallel Tipps für den gelungenen Lidstrich. Sie bewirbt Periodenunterwäsche und positioniert sich gegen Misogynie und für die Normalisierung diverser Körperformen. Sie bewegt sich damit im Spannungsfeld zwischen Aktivismus, Infotainment und marketingbasierter Gegenfinanzierung. „Ich betrachte Influencertum deshalb eher nicht als Jobdefinition, sondern als Bezahlmodell: Ich lasse mir Werbung bezahlen, damit ich mir davon meine aktivistische Arbeit leisten kann“, sagt sie. Sie achte genau darauf, was sie bewerbe: „Es gibt einen Unterschied zwischen Accounts, die ausschließlich Dinge verkaufen, und politisch aktivistischen Influencer:innen“. Sie lege Wert darauf, dass aktivistischer Inhalt und Werbung einander nicht widersprechen.
Ihr Buch „Muss ich das gelesen haben?“ entwickelte sich aus ihrer Beitragsreihe „But make it classy“, die kaum unwirtschaftlicher sein könnte: Reichl fasst deutsche Literaturklassiker von Goethe bis Brecht zusammen und hinterfragt die darin tradierten sozialen Rollenzuschreibungen und Verhaltensmuster. Das Buch sei für sie eine Möglichkeit gewesen, inhaltlich stärker in die Tiefe zu gehen, und habe ihre Zielgruppe erweitert, sagt sie, „ich bekomme jetzt E-Mails von Leser:innen, die kein Social Media haben“.