Die Macht des Geldes
Gestohlene Daten, Erpressung, Lüge und Hochstapelei: Benjamin Quaderer erzählt in seinem fulminanten Debütroman „Für immer die Alpen“ die Geschichte eines Mannes, der das Liechtensteiner Schwarzgeldsystem zum Einsturz bringt.
Gestohlene Daten, Erpressung, Lüge und Hochstapelei: Benjamin Quaderer erzählt in seinem fulminanten Debütroman „Für immer die Alpen“ die Geschichte eines Mannes, der das Liechtensteiner Schwarzgeldsystem zum Einsturz bringt.
Im Herzen Europas liegt ein seltsames Land. Eingeklemmt zwischen Österreich und der Schweiz, ist es lediglich knapp 25 Kilometer lang und maximal zwölf Kilometer breit. Regiert wird es von einem Fürsten, der in einer Felsenburg hoch über der 5 000-Einwohner-Hauptstadt residiert. Der Kleinstaat heißt Liechtenstein, war einst die Heimat armer Bergbauern und ist heute steinreich. Einer der 38 000 Einwohner heißt Benjamin Quaderer, lebt inzwischen in Berlin und hat einen großen Roman über sein kleines Land geschrieben.
Politisch ohne jegliche Bedeutung, war der Zwergstaat lange Zeit einer der wichtigsten internationalen Finanzplätze: Liechtenstein war ein Magnet für Schwarzgeld aus aller Welt, eine Steueroase, in der deutsche Millionäre, Konzerne, Drogenbarone, Politiker und Oligarchen über Stiftungen, die sie dort gründeten, spielend leicht und völlig anonym Steuern hinterziehen konnten. In Liechtenstein sind aber nicht nur Banken, sondern auch Industrieunternehmen ansässig, etwa der Bohrmaschinen-Riese Hilti, der in Quaderers Roman „Für immer die Alpen“ ebenfalls eine Rolle spielt.
Von diesem seltsamen Land und seinem lukrativen Geschäftsmodell, das bis 2009 existierte, erzählt Quaderer in seinem Romandebüt. Es geht um Datendiebstahl und Steuerbetrug, um Erpressung und Kidnapping, um Lüge und Hochstapelei, um den Liechtensteiner Fürsten Hans-Adam II., um Folter, Rache und um die Frage, wer auf der richtigen Seite des Gesetzes steht. Johann Kaiser ist die schillernde Hauptfigur und zugleich der Erzähler von „Für immer die Alpen“: Er will aller Welt beweisen, dass er zu Unrecht als Verräter und Denunziant verfolgt wird. Zum Zeitpunkt des Erzählens befindet er sich im Zeugenschutzprogramm des Bundesnachrichtendiensts an einem geheimen Ort.
Kaiser ist Liechtensteins Staatsfeind Nummer eins, denn er hat das Schwarzgeldsystem des Landes auffliegen lassen, indem er einer Bank Millionen von Kundendaten entwendet und sie deutschen Steuerbehörden zur Verfügung gestellt hat. Einen ähnlichen Datenklau hat es 2008 tatsächlich gegeben. Damals war Quaderer 19, gerade aus Liechtenstein weggezogen und hatte andere Dinge im Kopf, als sich mit Steuerhinterziehung zu beschäftigen: „Was das für ein unglaubliches Ereignis ist und was darüber alles erzählt werden kann, ist mir erst viel später klar geworden.“
Jahre danach recherchierte Quaderer die Fakten, er erfand Geschichten und formte wahre um, dachte sich Personen aus und arbeitete lange an seinem Text, „ohne wirklich zu wissen, wie das geht“. Nach fünf Jahren war der Roman endlich fertig – ein bemerkenswertes Werk und ein großer Wurf.
Staunend verfolgt man die Geschichte von Johann Kaisers abenteuerlichem Leben. Weil seine spanische Mutter nach Barcelona zurückgeht und sein Vater mit dem Leben überfordert ist, landet der kleine Johann in einem Kinderheim. Er macht Bekanntschaft mit Fürstin Gina, der Mutter von Hans-Adam, reißt mit 14 aus und überquert mit einem Moped die Alpen, um in Barcelona seine Mutter zu suchen. Dort besucht er eine Eliteschule, wo er sich als Spross der milliardenschweren Hilti-Dynastie ausgibt. Diese Lüge plus seine Bekanntschaft mit einer deutschen Fabrikantenfamilie namens Tobler haben fatale Folgen: Wegen eines missglückten Immobiliendeals und einer finanziellen Transaktion, die sich in Luft auflöst, wird der vermeintlich schwerreiche Johann zum Entführungsopfer. In einer hollywoodreifen Aktion wird er nach Argentinien verschleppt und gefoltert, bis sein Schwindel schließlich auffliegt. Später wird er mit internationalem Haftbefehl gesucht und entwendet schließlich die besagten Kundendaten, die das System Liechtenstein zu Fall bringen.
Benjamin Quaderer erzählt in „Für immer die Alpen“ die halsbrecherische Geschichte eines Außenseiters, Schwindlers und Hochstaplers. Man staunt nicht nur über Kaisers abenteuerliches Leben, sondern auch über seine Chuzpe – und bewundert, wie virtuos und souverän Quaderer in seinem Debüt mit verschiedenen Erzählperspektiven arbeitet, mit Fußnoten und Quellen jongliert und wie er in seiner überbordenden Lust am Fabulieren und Geschichtenerzählen quasi eins wird mit seinem Protagonisten Johann Kaiser.
Fünf Jahre Arbeit an einem Buch sind eine lange Zeit, und wie Benjamin Quaderer sagt, hat er jeden Tag hinschmeißen wollen: „Das ist zwar wahnsinnig unangenehm und nervig, umgekehrt würde ich mir aber selbst misstrauen, wenn es diese Zweifel nicht gäbe.“ Er hat durchgehalten und beschert seinen Leserinnen und Lesern mit seinem Roman ein spektakuläres Leseabenteuer.
Benjamin Quaderer, geboren 1989 im österreichischen Feldkirch und aufgewachsen in Liechtenstein, studierte in Hildesheim und in Wien Literarisches Schreiben. „Für immer die Alpen“ ist sein erster Roman. Für einen Auszug daraus erhielt er den 2. Preis beim Open Mike 2016 und ein Arbeitsstipendium des Berliner Senats. Quaderer lebt in Berlin.