Abgesang auf den Sommer
Unsere Kolumnistin Christine Westermann empfiehlt Lektüre abseits der Bestsellerlisten. Lektüre, die auch das Wiederlesen lohnt. Heute: „Das Flirren am Horizont“ und „Schloss Gripsholm“.
Unsere Kolumnistin Christine Westermann empfiehlt Lektüre abseits der Bestsellerlisten. Lektüre, die auch das Wiederlesen lohnt. Heute: „Das Flirren am Horizont“ und „Schloss Gripsholm“.
Manchmal ist es ein gutes Umschlagbild, das mich zu einem Buch hinzieht. Im Fall von Roland Butis Roman „Das Flirren am Horizont“ (Nagel & Kimche, 192 S., 18,90 €) sieht man einen Jungen in Gummistiefeln, dem Betrachter hat er den Rücken zugekehrt. Er steht in einem alten Scheunentor, vor ihm picken ein paar Hühner. Er scheint eine unsichtbare Last zu tragen, die ihn den Rücken beugen, den Kopf senken lässt. Gus ist 13 Jahre alt, lebt mit seiner Familie auf einem Bauernhof in der Schweiz. Die Geschichte spielt im Sommer 1976, als ganz Europa von einer unglaublichen Hitze heimgesucht wurde. In diesem Dürresommer verlässt Gus’ Mutter gänzlich unerwartet den Ehemann und die Kinder. In der unerträglich lastenden Hitze löst sich alles auf, was im Leben des Jungen sicher schien. Der Schweizer Autor Roland Buti ist Literaturwissenschaftler, aber aufgewachsen in einer Bauernfamilie. Er weiß, was beständige Hitze und das unerbittliche Flirren am Horizont ausrichten können in der Natur, bei den Menschen, den Tieren. Ein feiner Roman mit einem Abgesang auf die Sommer und auf die Familien, wie sie früher einmal waren. Oder zu sein schienen.
In der unerträglich lastenden Hitze löst sich alles auf, was im Leben des Jungen sicher schien.
„Eine Sommergeschichte“ wollte Kurt Tucholsky ursprünglich das Buch nennen. Weltbekannt wurde es dann als „Schloss Grips- holm“, vor 91 Jahren erschienen, millionenfach gelesen und geliebt. Hans Traxler, der bekannte Maler, Zeichner, Illustrator, bekam damals beim Lesen der Dreiecksgeschichte rote Ohren, wie er später erzählte. Da war er auch erst 16. Viele Jahre später hat er die Geschichte von Peter und seiner Prinzessin Lydia bebildert. Ein Jahr lang hat er gezeichnet, fast 60 Bilder sind es geworden. An keiner Stelle drängen sie sich in den Vordergrund, sie nehmen dem Text nichts von seiner Feinheit, begleiten ihn leise und ergänzen ihn aufs Schönste (Insel Verlag, 173 S., 12,95 €).
Christine Westermann ist Autorin und Journalistin. Sie arbeitet seit vielen Jahren für das Fernsehen und den Hörfunk des WDR, war Mitglied beim „Literarischen Quartett“ und moderierte zusammen mit Götz Alsmann die Sendung „Zimmer frei“.