Abseits eingefahrener Gleise
Christine Westermann empfiehlt Lektüre abseits der aktuellen Bestsellerlisten. Lektüre, die auch das Wiederlesen lohnt. Dieses Mal: „Gebrauchsanweisungen fürs Zugreisen“ und „Barbara stirbt nicht“.
Christine Westermann empfiehlt Lektüre abseits der aktuellen Bestsellerlisten. Lektüre, die auch das Wiederlesen lohnt. Dieses Mal: „Gebrauchsanweisungen fürs Zugreisen“ und „Barbara stirbt nicht“.
Natürlich liest man ein Buch mit dem Titel „Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen“ (Piper, 256 S., 16,– €) auf einer Bahnfahrt. 50 Minuten Verspätung von Köln nach Bremen, aber die waren irgendwann egal, weil die Lektüre mehr als versöhnt hat mit geschlossenem Bordbistro und verpassten Anschlüssen.
Der Autor dieses fabelhaften Zugbegleiters heißt Jaroslav Rudiš. Anders als wir anderen Zugfahrer jammert er kein bisschen rum, sondern freut sich auf 256 Seiten über die wunderbare Welt der Züge, die Schönheit der Bahnhöfe, der „Kathedralen des Verkehrs“. Er fährt von Berlin bis zum Gotthardtunnel und von Sizilien bis nach Lappland. Im Nachtzug durch Polen und im Speisewagen von Hamburg nach Prag. Er schwärmt von den Zeiten, als es im IC nach Amsterdam noch Frikadellen und Kartoffelsalat im Bordrestaurant gab. Und er erzählt, wie Louis Armstrong einmal wegen des verlockenden Dufts von Würstchen beim Halt in einem österreichischen Nest aus dem Zug stieg und dieser ohne ihn weiterfuhr. Verknüpft die Geschichten der Menschen, die er im Zug trifft, mit der Historie der Eisenbahn. Es ist ein so bezauberndes Schwärmen, dass es einen über die Realität nachsichtig lächeln lässt.
„Barbara stirbt nicht“ (Kiwi, 256 S., 12,– €) scheint zu Beginn die übliche Wir-haben-uns-auseinandergelebt- aber-jetzt-ist-es-auch-egal-Geschichte zu werden. Im Mittelpunkt steht Walter Schmidt, im Roman stets nur Herr Schmidt genannt. Was schon gleich eine feine Form der Distanz mit sich bringt. Er ist kein Sympathiebolzen, trottet wortkarg und besserwisserisch durch sein Eheleben. Herr Schmidt ist der Bestimmer, erreicht das Rentenalter, ohne zu wissen, wie man Kaffee kocht oder einen Staubsauger bedient. Musste er bislang ja auch nicht, dafür hat er schließlich seine Ehefrau Barbara, die alles klaglos hinnimmt. Aber wenn eine Frau klug ist, und Herrn Schmidts Frau Barbara ist klug, kennt sie kleine Fluchten, findet in 52 Ehejahren, unbeachtet vom Gatten, ihren eigenen Weg.
Eines Morgens bleibt sie einfach im Bett. Weigert sich aufzustehen. Herr Schmidt ist fortan auf sich allein gestellt. Als Pflegekraft, als Hausmann und als der fürsorgliche Partner, der er nie gewesen ist. Mit feinem Gespür fürs Absurde gelingt es Alina Bronsky, seine allmähliche Verwandlung zu beschreiben. Worte zu finden für einen, der sich nie erlaubt hat, Gefühle zu zeigen. Tief im Herzen aber ein ganz anderer ist.•
Christine Westermann, Autorin und Journalistin, arbeitet seit vielen Jahren für Funk und Fernsehen, war Mitglied beim „Literarischen Quartett“ und moderierte mit Götz Alsmann die Sendung „Zimmer frei“. Seit diesem Jahr podcastet sie auch: mit WDR-Moderatorin Mona Ameziane in dem generationenübergreifenden Format „Zwei Seiten“.