EINSAME HELDEN

Aufgehoben in Geschichten

17. Juni 2022

Heutzutage muss einfach jeder laut und gut vernetzt sein. Oder etwa nicht? Gott sei Dank gilt das nicht für literarische ­Helden, die seit jeher auch still, einsam und einzelgängerisch sein dürfen.

Micah, der so schön alltägliche Held aus Anne Tylers jüngstem Roman „Der Sinn des Ganzen“ (Kein & Aber, 224 S., 13,– €), ist ­einer von denen, die sich mit Maschinen leichter tun als mit Menschen. Der IT-Fachmann hat sich in Routinen eingerichtet und lebt sehr zurückgezogen, bis ­eines Tages ein Junge vor seiner Tür steht, der ihn gründlich zum Umdenken bringt.

Ähnlich wie Micah ist auch Herr Harald aus „Dagegen die Elefanten“ von Dagmar Leupold (Jung und Jung, 272 S., 23,– €) ein liebenswerter Einzelgänger. Als Gardero­bier im Theater nimmt er die ­Mäntel und ­Jacken des Publikums geduldig entgegen, ohne dabei irgendwem aufzufallen. Als er jedoch in einem Mantel eine Pistole findet, will er sich endlich einmal Aufmerksamkeit verschaffen – oder vielmehr der Frau, die er heimlich liebt und die wie er von ­allen übersehen wird.

In Sarah Pines melancholischem Erzählband „Damenbart“ (Schöffling, 200 S., 20,– €) sind es in erster Linie Protagonistinnen, die sich verlassen und marginalisiert fühlen. Mit großen Träumen oder schönen Erinnerungen an lang Vergangenes halten sie sich notdürftig über Wasser oder trösten sich mit Affären und schnellem Sex über ihre Einsamkeit und das Gefühl eigener Belanglosigkeit hinweg. 

Auch Joey Goebel erzählt in „Irgendwann wird es gut“ (Diogenes, 320 S., 12,– €), von denen, die das Leben nicht so verwöhnt hat: von den Verzweifelten, Ausgeschlossenen und Verlorenen. Aber es hat etwas seltsam Tröstliches, dass an diese Helden, die so allein sind auf der Welt, immerhin doch einer mit großer Zuneigung gedacht hat: der Autor. 

FS