"Meine Heimat sind Geschichten"
Ihr neuer Roman beginnt in Palermo. Warum?
Daniel Speck: Auf Sizilien kreuzen sich die Kulturen des Mittelmeers. Dass sich dort die drei Hauptfiguren begegnen, um ihre Geschichten zu erzählen, war eine logische Wahl. In Palermo existieren immer mehrere Geschichten gleichzeitig; Vergangenheit und Gegenwart fließen ineinander, das Aushalten von Ambivalenzen ist dort Alltag.
Die erste Geschichte, die dort erzählt wird, führt ans östliche Ufer des Mittelmeers, in die Jaffa Road …
Die Jaffa Road am Hafen von Haifa ist ein bunter, lebendiger Mikrokosmos und zugleich eine Metapher: eine Straße, die nicht in der eigenen Stadt endet, sondern in eine andere Stadt führt. Sie beginnt in der Altstadt von Haifa, wird zur Landstraße, und wenn man ihr eine Stunde folgt, kommt man nach Jaffa. In Haifa findet Joëlles jüdische Einwandererfamilie ein neues Zuhause. Und am anderen Ende der Straße, in Jaffa, lebt eine palästinensische
Familie von Orangenfarmern, die ihr Zuhause verliert. Sie kennen sich nicht, und doch sind ihre Schicksale miteinander verbunden.
In Ihrem Roman nehmen Sie eine israelische, aber auch eine palästinensische Perspektive ein. Wie sind Sie an diese Aufgabe herangegangen?
Es war eine spannende Herausforderung, weil die Erzählungen der zwei Völker sich scheinbar ausschließen, aber zwischen Mittelmeer und Jordan parallel existieren. Auf meinen Recherchereisen habe ich gelernt, diesen Kontrast als bereichernd zu erleben. Ich habe verschiedene Familien getroffen und ihre Geschichten gehört. Wenn man jemanden aus seiner Familiengeschichte heraus begreift, erschließt sich seine menschliche Tiefe. In meinem Buch habe ich versucht, allen Charakteren mit der gleichen Empathie zu begegnen.