Die Geschichte einer Legende
Das neue Buch von Geraldine Brooks ist so vielschichtig wie vielgestaltig. Anhand historischer und fiktiver Figuren zeichnet sie ein Bild der US-Gesellschaft der vergangenen 170 Jahre.
Das neue Buch von Geraldine Brooks ist so vielschichtig wie vielgestaltig. Anhand historischer und fiktiver Figuren zeichnet sie ein Bild der US-Gesellschaft der vergangenen 170 Jahre.
Der Kunststudent Theo stößt zufällig im Müll auf ein Gemälde von einem Pferd und einem jungen Mann. Es hält die außergewöhnlich vertraute Verbindung zwischen dem Ross Lexington und dem Sklavenjungen Jarret aus dem 19. Jahrhundert fest. Grund genug für Theo und seinen Freund Jess, die die Knochen des legendären Rennpferds erforschen, sich auf die historischen Spuren der Legende um das Rennpferd und dessen jungen Freund im Kentucky des Jahres 1850 zu begeben.
Ein Zeitsprung lässt die Leser:innen in ebendiese Zeit kurz vor dem amerikanischen Bürgerkrieg eintauchen. Der Sklave Jarret kümmert sich um Lexington von Geburt an und wird dabei von dem Maler Scott auf Gemälden festgehalten. Doch je erfolgreicher Lexington mit jedem gewonnenen Rennen wird, desto drängender stellt sich die Frage: Werden sich die Wege der beiden angesichts der Gier ihrer Besitzer und der beginnenden gesellschaftlichen Unruhen trennen müssen? Über räumliche und zeitliche Grenzen hinweg folgen die Leser:innen den Versuchen von Theo und Jess, die Hintergründe des Gemäldes und dessen Weg über die vergangenen 170 Jahre hinweg aufzudecken. Und kommen dabei wie die beiden Freunde dem Schicksal von Jarret und seinem Rennpferd immer näher.
Jarret fragte, ob er sich das Bild ansehen könne, und ich trat von der Leinwand weg, damit er einen besseren Blick hatte. Sein Lächeln – ein langsames Lächeln, das sein ganzes Gesicht zum Leuchten brachte – überraschte mich.
aus "Das Gemälde"
Lexington ist Geschäft, Statussymbol, Forschungsgegenstand, aber auch eine Lebensaufgabe, Trostspender und ein Gefährte. Geraldine Brooks schafft es in ihrem Buch auf einzigartige Weise, die Geschichte um das sagenhafte Pferd sowie der von ihm angefertigten Gemälde zu rekonstruieren. Dabei nutzt die Autorin geschickt die historischen Lücken, um die persönlichen, menschlichen Beweggründe so nachzuzeichnen, dass ein lebendiges Bild einer ganzen Epoche, des erdrückenden Lebens der Sklaven in Kentucky um 1850 ebenso wie des Alltagsrassismus im Jahr 2019 vor dem inneren Auge der Leser:innen entsteht. Und ganz nebenbei wird deutlich, wie sich in Kunst, Wissenschaft und Sport stets die sozialen Verhältnisse einer Gesellschaft spiegeln.
Am Ende steht eine erschütternde Geschichte von Unterdrückung, Rassismus, aber auch von der Liebe zu Tieren, von Freundschaft und von dem Wunsch, das zu tun, was man liebt. • Sophie Hartisch