Jonas Jonasson: WIE DIE SCHWEDEN DAS TRÄUMEN ERFANDEN

Die Macht der Freundschaft

8. Dezember 2023

Jonas Jonassons neuester Roman besticht mit Chuzpe, Charme und Witz. Es geht um einen Ort in Schweden, eine beherzte Bürgermeisterin und eine deutsche Bettenfirma auf der Suche nach einem Skandinavien-Standort.

Halstaholm ist eine Kleinstadt irgendwo in der schwedischen Provinz. Vor elf Jahren hat die dort ansässige ­Reifenfabrik dichtgemacht, seither dämmert der Ort vor sich hin. Die meisten Geschäfte sind geschlossen, die Arbeitslosenquote liegt bei 30 Prozent, und das ehemalige Betriebsgelände der Fabrik ist zwar riesig und topmodern, aber „leer wie ein Nistkasten im Dezember“. Keine guten Voraussetzungen für die neue Bürgermeisterin Julia Bäck, die Halstaholm zu neuem Glanz verhelfen will. Als Julia erfährt, dass die deutsche Bettenfabrik „Traumbett“ einen Standort in Schweden sucht, ist für sie klar: „Traumbett“ muss nach Halstaholm! Aber auch Stockholm ist interessiert – und mit dem Berater der Stockholmer Finanzsenatorin, Kenneth Carlander, ist nicht gut Kirschen essen …

So ist sein Roman nicht nur ein wunderbar leichtfüßiges Stück Literatur, sondern vor allem eine ­Erinnerung daran, wie viel Kraft in ­Gemeinschaften steckt. 

Irene Binal

Bislang schickte Jonas Jonasson die Helden seiner Romane quer durch die Welt, nach Nordkorea, Afrika oder in die USA. Sein neues Werk hingegen ähnelt eher einem Kammerspiel, angesiedelt zwischen Halstaholm, Stockholm und Hamburg. Von dort nämlich reist Konrad Kaltenbacher jr. an, der Firmenbesitzer von „Traumbett“, den es zu überzeugen gilt. Und Julia lässt sich so einiges einfallen: Eine rasch gegründete Taskforce (bestehend aus einem einsamen Boulespieler, dem zehnjährigen Peter und der alten Frau Johansson mit ihrem Rollator) soll Halstaholm zur deutschen Traumstadt machen, mit Günter-Grass-Statue, einem 
in deutschen Farben bepflanzten Angela-­Merkel-Rondell, einer deutschen Schule und einer Bierstube im ohnehin leer stehenden Schwimmbad. Kaltenbacher ist tatsächlich beeindruckt, und das nicht nur von Halstaholm, sondern auch von dessen Bürgermeisterin. Nur ein Problem gibt es noch: die Verkehrsanbindung an Stockholm. Zwar plant die schwedische Regierung eine Stamm­strecke durch Halstaholm, aber noch ist nichts fix. Und der intrigante Carlander, der nicht die Absicht hat, auf sein Beraterhonorar zu verzichten, weiß, wie er einen entsprechenden Beschluss verhindern kann.
Turbulent ist all das, skurril und mitreißend, wie man es von Jonas Jonasson gewohnt ist. Er habe gerade in diesen schwierigen Zeiten „etwas Hoffnungsvolles“ schreiben wollen, sagt der ­Autor selbst, „über die Freundschaft zwischen den Schweden und den Deutschen, die ich so sehr liebgewonnen habe.“ So sehr übrigens, das sei an dieser Stelle erwähnt, dass der Roman vorab nur in Deutschland erscheint – für die Jonasson-Fans hierzulande.  

Jonas Jonasson
Wie die Schweden das Träumen erfanden

Übersetzt von Astrid Arz. 
C. Bertelsmann, 160 S., 22,– €,
ISBN 978-3-570-10541-2

Und um Freundschaft geht es auch, nicht nur um Freundschaft über Staatsgrenzen hinweg, sondern auch um den Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft von Halstaholm, wo alle mithelfen, um ihre Stadt im besten Licht zu präsentieren (ausgenommen Julias etwas beschränkter politischer Gegner Hasse Eriksson, der sich vor der ­Invasion einer fremden Macht fürchtet). So soll Peter – der als Sohn einer deutschen Mutter die Sprache perfekt beherrscht – den künftigen Lehrern an der deutschen Schule erst mal Deutsch beibringen; der Besitzer des Ladens hinter dem Betriebsgelände muss zwar sein Haus aufgeben, darf ­dafür aber als Wirt die neue deutsche Bierstube übernehmen, und Frau ­Johansson rekrutiert eine Rentnerbri­gade, um die Häuserfassaden mit Hochdruckreinigern zu säubern. 

Schwungvoll und spritzig erzählt ­Jonasson von einer Stadt, die sich nicht unterkriegen lässt, und von einer erfinderischen Bürgermeisterin, die sich auch schon mal als Sekretärin des amerikanischen Außenministers ausgibt, um Konrad Kaltenbacher jr. ans Telefon zu bekommen. 
Hinter solchem Witz verbirgt sich freilich ein ernstes Anliegen: Jonasson beschreibt einen Kampf, der nur auf den ersten Blick aussichtslos erscheint, er macht Mut zu neuen Ideen und ungewöhnlichen Lösungen und stellt klar, dass jeder und jede mit Courage, Kreativität und guten Freunden auch hochgesteckte Ziele erreichen kann. 
So ist sein Roman nicht nur ein wunderbar leichtfüßiges Stück Literatur, sondern vor allem eine Erinnerung daran, wie viel Kraft in Gemeinschaften steckt, und damit ein Aufruf zum Mit­einander, der gerade in einer Zeit, in der die Gesellschaft auseinanderzudriften droht, ­nötiger denn je erscheint. ­Jonasson hat sein literarisches Ziel – zu zeigen, dass niemand so machtlos ist, wie man mitunter denken mag – mit seinem neuen Roman einmal mehr ­unterstrichen; und wie immer weiß er dabei glänzend zu unterhalten. • 

Über den Bestseller-Autor

Jonas Jonasson, geboren 1961, arbeitete nach seinem Studium als Journalist und gründete eine Medienberatungsfirma, die er später verkaufte, um sich dem Schreiben zu widmen. Seine ­Romane, insbesondere "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand", sind internationale Bestseller. Nach Jahren in der Schweiz lebt Jonasson ­heute mit seinem Sohn wieder in Schweden.