Ein kleiner Stern, der leuchtet
Unsere Kolumnistin Christine Westermann empfiehlt Lektüre abseits der Bestsellerlisten. Lektüre, die auch das Wiederlesen lohnt. Heute: „Nils“ und „Alle meine Wünsche“.
Unsere Kolumnistin Christine Westermann empfiehlt Lektüre abseits der Bestsellerlisten. Lektüre, die auch das Wiederlesen lohnt. Heute: „Nils“ und „Alle meine Wünsche“.
Kein Mensch kann den anderen von seinem Leid befreien. Aber er kann ihm Mut machen, das Leid zu tragen. Mit diesem Satz der Schriftstellerin Selma Lagerlöf beginnt Melanie Garanins Geschichte von „Nils“ (Carlsen, 200 S., 22,– ¤). Jenem kleinen Jungen, der durch einen ärztlichen Fehler stirbt, als er gerade einmal drei Jahre alt ist. Die Erzählung vom sinnlosen Tod eines kleinen Menschen ist unendlich traurig und doch voll mutiger Zuversicht. Melanie Garanin hat das kurze Leben von Nils in Zeichnungen festgehalten. Sie kann das so nah und so persönlich wie keine andere, sie ist Nils’ Mutter. „Kleiner Stern“ haben die Geschwister ihren jüngsten Bruder bei seiner Geburt genannt. Über der ganzen pechschwarzen Traurigkeit, die einem das Herz schwer macht, liegt aber auch eine sanfte Fröhlichkeit. Ein zartes, aber strahlendes Leuchten. Wie eben nur ein kleiner Stern leuchten kann.
Es passiert etwas anderes, etwas Ungeheuerliches, eine persönliche Tragödie nimmt ihren Lauf.
Die Geschichte von Grégoire Delacourt spielt in einem Nest im Norden Frankreichs: Jocelyne ist schon ewig verheiratet, die Kinder sind erwachsen. Sie ist nicht glücklich, hat Sehnsucht, aber wonach, das ist ihr nicht klar. Sie liebt ihren Mann, glaubt sie jedenfalls, hofft noch immer, er könne sie schön finden, obwohl er das noch nie gesagt hat. Nur weil ihre Freundinnen nicht lockerlassen, füllt sie eines Samstags einen Lottoschein aus. Sie gewinnt 18 Millionen und erzählt keinem Menschen etwas davon. Nein, Delacourts Roman „Alle meine Wünsche“ (Heyne, 128 S., 12,– ¤) beschreibt nicht das Klischee von der Lottomillionärin, die sich alle Wünsche erfüllen kann und dennoch nicht recht glücklich wird. Es passiert etwas anderes, etwas Ungeheuerliches, eine persönliche Tragödie nimmt ihren Lauf. Wann hat man Lust, ein Buch zu empfehlen? Wenn kleine Geschichten in einem selbst große Wirkung entfalten und sie noch lange nachhallen.
Christine Westermann ist Autorin und Journalistin. Sie arbeitet seit vielen Jahren für das Fernsehen und den Hörfunk des WDR, war Mitglied beim „Literarischen Quartett“ und moderierte zusammen mit Götz Alsmann die Sendung „Zimmer frei“.