Anne Stern: DREI TAGE IM AUGUST

Ein Stückchen Glück in dunklen Zeiten

25. August 2022

Berlin, 1936. Hitler inszeniert mit den Olympischen Spielen Weltoffenheit. Vor diesem Trugbild richtet Bestsellerautorin Anne Stern den Fokus auf das Leben rund um die Chocolaterie Sawade an der Prachtallee Unter den Linden. 

Welche Geschichte erzählen Sie in „Drei Tage im August?“
Mein Roman erzählt die Geschichte von Elfie Wagner, der Prokuristin des Pralinengeschäfts Unter den Linden, und die ihrer Nachbarschaft rund um die Chocolaterie. In den 1930er Jahren ging der ursprüngliche Glanz der Allee Unter den Linden gerade seinem Ende entgegen, der Ku’damm hatte ihm im Westen der Stadt den Rang abgelaufen. Dennoch war es eine ungemein lebhafte Gegend mit vielen Geschäften, Galerien und Restaurants, und die Bewohnerinnen und Bewohner waren ein buntes, munteres Völkchen. Ab 1933 wurde diese Vielfalt dort mit ebenso viel Gewalt zerschlagen wie überall in Deutschland. Es kam zu Liquidierungen jüdischer Geschäfte, zu Zwangsverkäufen und ersten Deportationen. Doch im Jahr 1936 bauten die Nazis noch einmal für wenige Wochen eine Kulisse der Weltoffenheit und Toleranz in Berlin, um die ausländischen Gäste zu täuschen. Es muss eine sehr seltsame, flirrende, schwer greifbare Atmosphäre in der Stadt geherrscht haben, eine Mischung aus Euphorie, Quirligkeit, aber auch Fatalismus und Grauen. Denn niemand konnte wirklich an diese Täuschung glauben, die ganzen Linden entlang hingen bereits die Hakenkreuzflaggen. Und nach diesen Tagen im August 1936 errichteten die Nazis weiter mit voller Kraft ihr Terrorregime.

Rund um die Chocolaterie lernen wir sehr unterschiedliche Figuren und Schicksale kennen. Was war Ihnen bei diesen Charakteren wichtig?
Mir liegen immer besonders die Figuren mit Brüchen am Herzen, Menschen, wie sie uns damals (und auch heute noch) wirklich in den Straßen Berlins begegnen könnten. Ich versuche zu zeigen, dass es die unterschiedlichsten Lebensentwürfe, Herkünfte und Verfasstheiten gibt, und dass trotzdem jedes Leben wertvoll und auch hoffnungsvoll sein kann. Meine Figuren haben alle aus verschiedenen Gründen eine schwere Vergangenheit, sie alle knabbern an den Verletzungen, die das Leben ihnen zugefügt hat, und trotzdem geben sie nicht auf, sondern erkämpfen sich ein kleines Stückchen Glück

Die Pralinenmanufaktur Sawade ist real wie viele zeitgeschichtliche Details. Wie real sind Ihre Protagonistinnen und Protagonisten?
Keine der Figuren ist in dem Sinne real, dass sie wirklich gelebt hat, mit Ausnahme des Chocolatiers Ladislaus Ziemciewicz, von dem wir wissen, dass er den Pralinenladen „Sawade“ gegründet. Eine zweite Ausnahme ist die Figur Madame Conte, die alte Dame, die im Vorderhaus lebt und Elfie nach und nach ihre Lebensgeschichte erzählt. Diese Frau hat es wirklich gegeben, sie hieß aber anders . Am Ende des Romans erfahren wir erst ihren wirklichen Namen. Doch mehr als diesen Namen und ihre Adresse kann man heute nicht mehr herausfinden. Alle anderen handelnden Figuren sind frei erfunden, nur ab und zu werden reale Menschen erwähnt wie Max Liebermann und Käthe Kollwitz. Wir begegnen ihnen aber nicht direkt in der Geschichte.

Sie erzählen ungemein poetisch, sogar die Lindenbäume kommen zu Wort. Warum braucht Ihre Geschichte, die in so düsteren Zeiten spielt, diesen Tonfall?
Ich hatte von Anfang an beim Schreiben diesen flirrenden Ton im Ohr, der uns in eine untergegangene, manchmal schwer greifbare Welt mitnimmt. Er passte für mich zu dem unsteten Wetter dieser drei Augusttage, in denen die ganze Zeit graue, schnell ziehende Wolken über Berlins Straßen hingen. Es ist noch Sommer, aber es ist bereits kühl, man schmeckt schon den Herbst in der Luft. Das ist natürlich auch metaphorisch zu lesen für das, was der Welt in den Jahren nach 1936 blühte. Für mich brauchte es diese Sprache, um den Zusammenklang von zarter Hoffnung, Genuss - denn darum geht es nun einmal bei Schokolade - und Melancholie heraufzubeschwören. Es gibt da schon einen Hauch Nostalgie in meinem Text, es ist eine bittersüße Geschichte. So wie die Pralinen.

Der Roman umspannt gerade einmal drei Tage. Wir erleben Momentaufnahmen von Gedanken, Szenerien, Begegnungen, die uns die Personen doch sehr nahe bringen. Welche Idee steckt dahinter?
Ich hatte beim Schreiben immer das Gefühl, ich baue einen Guckkasten. So ein altmodisches Ding, das man früher im Kunstunterricht gebastelt hat. Ich staffiere liebevoll die Szenerien aus und lasse die Leser*innen durch das kleine Loch hineingucken - aber nicht zu lange, damit die Illusion nicht bricht. Ich wollte außerdem die Gleichzeitigkeit von Leben zeigen - während in der Chocolaterie gerade jemand in Nussnougat schwelgt, wird eine Straßenecke weiter ein Plakat an die Litfaßsäule geklebt, das jüdische Mitbürger verunglimpft. Während der Buchhändler Franz in seiner kleinen Buchhandlung Fluchtpläne schmieden muss, vergnügen sich die amerikanischen Touristen nebenan beim Tanztee im Hotel Adlon. Diese Unmittelbarkeit des Alltags wollte ich zeigen, die wir alle kennen, und die manchmal schwer auszuhalten ist. Ich mag an dem szenischen Erzählen, das ich für diesen Roman gewählt habe, auch sehr gern das Filmische, denn ich liebe Filme!

Ihre Bestseller-Romanreihe Fräulein Gold spielt in den 1920er Jahren, Drei Tage im August ist in der düsteren Zeit des Naziterrors angekommen. Was interessiert Sie an den 1920er und -30er Jahre?
Es ist eine Zeit des Umbruchs, eine unsichere, wankende Zeit. Die Kontraste daran interessieren mich sehr, und natürlich auch der Mut, den die Menschen dieser Epoche beweisen mussten. Auf der wackligen Grundlage einer selbstverschuldeten Niederlage in einem grauenvollen, weltweiten Krieg wurde eine neue Staatsform, eine Demokratie quasi aus dem Nichts gehoben. Aber die Gesellschaft war so angreifbar, die Hypotheken, die das Land mitnahm, so hoch. Nicht nur die finanziellen, sondern vor allem die sozialen und emotionalen. Wir wissen heute alle, wie es ausging, aber trotzdem habe ich immer, wenn ich als Schriftstellerin wieder in diese Jahre zwischen den Kriegen eintauche, dieses seltsame Gefühl, als wäre noch alles offen. Bei „Fräulein Gold“ bewegt sich die Geschichte durch die 1920er Jahre immer dichter an das Unausweichliche heran. In „Drei Tage im August“ ist schon alles zu spät, und trotzdem hoffen wir mit den Figuren und wünschen ihnen eine bessere Zukunft oder wenigstens eine Zuflucht.

Interview: Anita Strecker

Anne Stern
Drei Tage im August

Aufbau Taschenbuch,
352 S., 15,– €, 
ISBN 978-3-7466-3998-7

Anne Stern
Drei Tage im August

Aufbau Audio. 
Gelesen von Vera Teltz.
8 Std. 45 Min., 16,99 €, 
ISBN 978-3-96105-691-0

Über die Autorin

Anne Stern, geboren 1982, ist Historikerin und promovierte Germanistin. Sie arbeitete als Lehrerin und in der Lehrerbildung. Ihre Romane um die Hebamme „Fräulein Gold“, die im Berlin der 1920er Jahre spielen, sind Bestseller. Mit ihrem Mann und ihren drei Kindern lebt sie in Berlin.