Einen fürsorglicheren Vater hätte sich Marie Karska nicht wünschen können: „Er hat meine Sachen gewaschen, meine Socken gestopft und war geradezu besessen davon, dass ich mich gesund ernähre.“ Und er gab ihr eine Devise mit, deren Bedeutung sich erst spät enthüllen wird: „Man sieht nur, was man sehen will.“ Aber warum verweigert dieser kluge, renommierte Arzt jedes Gespräch über Maries Mutter, die verschwand, als Marie noch ein Kleinkind war? Und welche Geheimnisse verbirgt er in seinem stets verschlossenen Zimmer?
Ein etwas ungeschickter Einbruch liefert Marie einen Hinweis auf das Schicksal der so sehnlich Vermissten. Ein blonder Haarzopf unter den Bodendielen führt zurück in die anrührende Geschichte zweier talentierter Frauen, die in Polen zwischen den beiden Weltkriegen scheinbar grausam voneinander getrennt wurden und einander doch stets ganz nahe blieben.
Es ist erstaunlich, wie genau sich die australische Drehbuchautorin Rachel Givney in die düstere, erbarmungslose Welt jener Jahre eingefühlt hat. Mindestens ebenso beeindruckend ist es, wie geschickt sie das medizinische und pharmazeutische Fachwissen, das Maries Mutter sich erwirbt, als Schlüssel nutzt, um ihren beiden Heldinnen die Rettung aus einer scheinbar ausweglosen Lage zu ermöglichen. Am Ende erkennt man verblüfft, dass man selbst zunächst auch nur gesehen hat, was man sehen wollte. Ein fulminanter, aufwühlender Roman vor historischer Kulisse.
UB