Große Liebe, dunkle Zeiten
In „1913“ gelang ihm das wunderbar leichte Porträt eines Schlüsseljahrs der europäischen Moderne. Jetzt legt Florian Illies nach: „Liebe in Zeiten des Hasses“ ist die „Chronik eines Gefühls“ zwischen 1929 und 1939.
In „1913“ gelang ihm das wunderbar leichte Porträt eines Schlüsseljahrs der europäischen Moderne. Jetzt legt Florian Illies nach: „Liebe in Zeiten des Hasses“ ist die „Chronik eines Gefühls“ zwischen 1929 und 1939.
Einmal mehr verknüpft Erfolgsautor Florian Illies virtuos Privates mit Weltgeschichte, die Aufbrüche der Moderne mit ihren dunklen Abgründen. Das Register führt viele Namen auf: Jeder steht für eine Liebesgeschichte, alle zusammen bilden das vielstimmige Sittenbild einer Epoche. Simone de Beauvoir trifft zum ersten Mal Jean-Paul Sartre, Josephine Baker wird als „Halbaffe“ geschmäht. Wittgenstein träumt von einer reinen Liebe ohne Sexualität, bei den Fitzgeralds fliegen die Fetzen. Dalí entdeckt seine Muse Gala, Josef von Sternberg macht sich für Marlene Dietrich zum Narren und die Manns sorgen wie immer für reichlich Klatsch. Die Literaten der 1920er – Tucholsky, Benn, Brecht, Kästner – zogen die „sachlichen Romanzen“ und kühlen Affären großen Liebesdramen vor: „Mit ihr schlafen ja, aber keine Intimitäten“.
Doch weibliche Dandys wie Irmgard Keun oder Tamara de Lempicka brauchten auch die Männer nicht mehr, allenfalls als Spielzeug und „Sättigungsbeilage“. Gerade als sich alle Geschlechts- und Geschmacksgrenzen in einem fast modernen anything goes aufzulösen schienen, machte die „Vollbremsung“ (Illies) von 1933 dem ironischen Geplänkel unsanft den Garaus.
So lässt Illies immer wieder in intimen Liebesbeziehungen den Geist der Zeit, in kleinen Anekdoten, Amouren und Affären die drohende Weltkatastrophe aufblitzen. Nicht nur die großen Liebschaften machen Liebe in Zeiten des Hasses aus: Gerade in den kleinen Brüchen und Widersprüchen und komplizierten Arrangements wird ein Gefühl unmittelbar politisch.
TRA
Florian Illies, geboren 1971, war unter anderem Verleger des Rowohlt Verlags und ist heute Mitherausgeber der „Zeit“ und freier Schriftsteller. Sein Buch „1913. Der Sommer des Jahrhunderts“ (2012) stand monatelang an der Spitze der Bestsellerliste.
Es braucht gerade mal eine Seite, um von Florian Illies’ Buch verzaubert zu sein. Die kurze Anekdote erzählt vom misslungenen Rendezvous Jean-Paul Sartres mit Simone de Beauvoir im Frühjahr 1929 – der Beginn einer „der seltsamsten Liebesgeschichten des zwanzigsten Jahrhunderts“.
Zum ganz besonderen Genuss wird das Buch, wenn man Stephan Schads Lesung lauscht. Ihm gelingt es meisterhaft, den Personen und Persönlichkeiten, denen wir begegnen, Profil und Charakter zu verleihen. Die leise Ironie der Eingangsszene erweckt Schad ebenso zum Leben wie die Abfälligkeit, mit der Thomas Mann seinen homosexuellen Sohn Klaus behandelt. Später, als die Nazis an der Macht sind, hört man immer wieder Hilflosigkeit und Verzweiflung heraus – Gefühle, die mehr und mehr die Liebe überschatten. Eine herausragende Interpretation.
DS
Stephan Schad spielte viele Jahre in Hamburg am Thalia Theater und am Deutschen Schauspielhaus und wirkte bei „Stromberg“ und im „Tatort“ mit. Schad hat bereits Florian Illies’ „1913“ als Hörbuch eingelesen.