Westermanns Fundstücke

Hoffen bis zum Schluss

3. März 2022

Christine Westermann empfiehlt Lektüre abseits der aktuellen Bestsellerlisten. Lektüre, die auch das Wiederlesen lohnt. Heute: „Fünf Viertelstunden bis zum Meer“ und „ 34 Meter über dem Meer“.

Raus aus dem Grau zu Jahresbeginn und mit zwei Büchern der Sonne, dem Meer ­näher kommen: „Fünf Viertelstunden bis zum Meer“ – so weit ist es in Ernest van der Kwasts ­Roman von der kleinen italienischen Stadt bis zum Strand (Mare, 96 S., 10,– €). Ezio und Giovanna lernen sich dort kennen, verlieben sich, er macht ihr zwei Heiratsanträge. Sie will sich nicht entscheiden, noch nicht. Das kränkt ihn, ohne Abschied geht er weit weg. Im Kopf macht er Schluss, im Herzen nie. 60 Jahre später kommt mit der Post ein Brief von ihr. Sie will ihn wiedersehen. Was jetzt passiert, wird dicht, eindringlich und dennoch federleicht erzählt. Stets ein wenig melancholisch, ein stilles Feuer­werk an Farben, Gerüchen, Gefühlen. Man sieht, hört, fühlt. Und hofft. Bis zum Schluss. 

Berlin liegt „34 Meter über dem Meer“, zumindest rein seemännisch betrachtet. Genau das wird später in Annika Reichs gleichnamigem Roman eine Rolle spielen (Fischer Taschenbuch, 272 S., 9,99 €). Ella ist jung und Literaturwissenschaftlerin, Horowitz ist alt und Meeresbiologe. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein, haben aber eines gemeinsam: Sie wünschen sich ein anderes Leben. Beschließen, ihre Wohnungen zu tauschen und entdecken dabei ein neues. Der Roman erschien im Februar vor zehn Jahren. Ist leicht wie ein Soufflé. Fällt unter Umständen auch ähnlich in sich zusammen, falls man zu hektisch mit ihm umgeht. Empfehlung: In Ruhe lesen, die genialen Beschreibungen und Sätze auf sich wirken lassen.

Ganz sachte erzählt der Roman vom Leben. Wie es sich anfühlt, wenn man jung ist. Wie man, wenn man alt ist, aus diesem Leben raus möchte, weil man es schon zu lange, zu ungenau gelebt hat. Wenn am Ende die Liebespaare zusammenfinden, kann man sich keineswegs sicher sein, ob sie auch zusammenbleiben werden. Ob Lust und Liebe nicht in sich zusammenfallen werden wie ein Soufflé. 

Über unsere Kolumnistin

Christine Westermann ist Autorin und Journalistin. Sie arbeitet seit vielen Jahren für das Fernsehen und den Hörfunk des WDR, war Mitglied beim „Literarischen Quartett“ und moderierte zusammen mit Götz Alsmann die Sendung „Zimmer frei“.