Hymnen an die Freiheit
Eine stolze, freiheitsliebende Sizilianerin bahnt sich mutig ihren Weg durch die Wirren des 20. Jahrhunderts: Goliarda Sapienzas prachtvolles Werk ist es wert, wiederentdeckt zu werden.
Eine stolze, freiheitsliebende Sizilianerin bahnt sich mutig ihren Weg durch die Wirren des 20. Jahrhunderts: Goliarda Sapienzas prachtvolles Werk ist es wert, wiederentdeckt zu werden.
Modesta heißt die Heldin in Goliarda Sapienzas Roman, und der Name ist satirisch zu verstehen, denn diese Modesta ist alles andere als bescheiden: Sie will ihrem ärmlichen Elternhaus entkommen, sucht absolute Freiheit und ordnet diesem Ziel alles andere unter. Ihr Weg aus der Holzhütte in eine Fürstenvilla ist mit einigen Leichen gepflastert, aber als Fürstin kann Modesta endlich so leben, wie es ihr behagt, kann lieben, wen sie will, ob Mann oder Frau. Als dann die Faschisten in Italien an die Macht kommen, kämpft Modesta gemeinsam mit ihrer Intimfreundin Joyce gegen Unterdrückung, was ihr eine jahrelange Haftstrafe einbringt – aber ihr Freiheitsdrang bleibt ungebrochen.
Es ist ein opulentes Werk, prall, lebenssprühend und voller Sinnlichkeit, dessen Entstehungsgeschichte selbst einem Roman entsprungen sein könnte: Neun Jahre lang schrieb Sapienza daran, sie gab ihre Schauspielkarriere auf, zog sich von der Gesellschaft zurück und rutschte in die Armut. Einen Verlag für ihr Buch fand sie nicht, zu kühn war der Text, den ein Verleger als „einen Haufen Frevel“ bezeichnete. Als Sapienza aus Not eine Freundin bestahl, landete sie im Gefängnis, und ihre dortigen Erfahrungen beschrieb sie in einem Bericht, der ebenfalls im Aufbau Verlag erscheint.
Und „Tage in Rebibbia“ zeigt eine andere Goliarda Sapienza: Während ihr Roman sich üppig und literarisch kunstfertig präsentiert, ist das Gefängnistagebuch schmal, die Prosa nahezu schmucklos und dennoch ungemein kraftvoll. Sapienza erzählt von ihren Mitgefangenen, von Hofgängen oder den Schwierigkeiten des Einkaufens – und sie findet im Miteinander von Angehörigen aller Schichten und Nationalitäten eine „unfassliche, unvermutete Freiheit“.
Diese Liebe zur Freiheit ist der gemeinsame Nenner der beiden Texte einer zu Unrecht fast vergessenen Autorin, die wortgewandt und mit großer literarischer Stärke zu erzählen vermag. Und deren Werke, ob reichhaltiger Roman oder nüchterner Bericht, vor allem eines sind: bewegende Hymnen an ein freies Leben.
Irene Binal
Goliarda Sapienza (1924 – 1996), geboren in Catania, wird – wie ihre Eltern, die Vorkämpfer der sozialistischen Bewegung Italiens waren – von den Faschisten verfolgt und kämpft im Widerstand. Nach dem Krieg avanciert sie zur gefeierten Schauspielerin und beginnt zu schreiben.