In Ihrem Roman befassen Sie sich mit der Künstlerin und Aktivistin Susanna Carolina Faesch alias Caroline Weldon. Was hat Sie an dieser Frau fasziniert?
Es ist diese große Geste der Emanzipation – dass ein Mensch, der hineingeboren wird in eine sklerotische Welt voll überkommener Zwänge, sich aller Fesseln entledigt und in den endlosen Weiten einer neuen Welt dem Fremden ohne Vorbehalt auf Augenhöhe begegnet.
Wie haben Sie für Ihr Buch recherchiert?
Ich habe ja Geschichte studiert und als politischer Journalist gearbeitet, und bei meinen Recherchen verwende ich die Werkzeuge beider Berufe, verbunden mit dem Privileg des Künstlers, meiner Intuition zu folgen und nicht zur Vollständigkeit verpflichtet zu sein. Für diesen Roman suchte ich zunächst nach Spuren, die Susanna in den Archiven hinterlassen hat. Ihr Name taucht auf in den Familien- und Kirchenbüchern, später bei den Volkszählungen, die in den USA alle zehn Jahre stattfanden, im Scheidungsregister der Stadt Brooklyn sowie im State Museum von Bismarck, North Dakota. Dann eignete ich mir die Lebensumstände an, die sie zu unterschiedlichen Zeiten ihres Lebens an den unterschiedlichen Orten angetroffen haben muss: in Basel, in Brooklyn, auf Coney Island, in den Plains des Mittleren Westens. Ich stellte mir vor, wie sie die Einführung des elektrischen Lichts erfahren haben muss, den Siegeszug der Eisenbahn, die Industrialisierung, die Liberalisierung gesellschaftlicher Normen.
Sie sind bekannt für Ihre historischen Romane …
„Historischer Roman“ ist ein Etikett, das mir nicht gefällt, weil es nichts besagt. Jede Geschichte erzählt Vergangenheit. „Geschichten müssen vergangen sein“, heißt es schon in Thomas Manns „Zauberberg“ auf Seite eins – „je vergangener, ist man versucht zu sagen, desto besser …“ und so weiter.
Was ist das Besondere daran, über eine historische Persönlichkeit zu schreiben?
Beim Rapportieren historischer Fakten ist man freier als bei reiner Fiktion, falls es so was geben sollte. Fiktion ist immer der Plausibilität verpflichtet, man kann der Leserschaft nicht irgendeinen Wahnsinn auftischen. Wenn diese einem die Geschichte nicht abnimmt, hat man verloren. Hält man sich hingegen an historische Fakten, kann man den größten Wahnsinn auftischen, und die Leserschaft ist gezwungen, einem zu glauben, weil man die Macht der historischen Dokumente als Beweis auf seiner Seite hat. An diesem Beispiel: Hätte ich eine Geschichte erfunden, in dem ein kleines Mädchen aus Kleinbasel auszieht, um am Schluss dem großen Sitting Bull am Grand River zu begegnen – man hätte mir die Geschichte um die Ohren gehauen.
Interview: Irene Binal