"Jedes Leben hat Bruchstellen“
Eine junge Frau stellt sich in Israel ihrer Vergangenheit: Mirna Funk verwebt jüdische Geschichte mit einer Erzählung von Liebe und Gewalt und stellt die Frage, wie man familiäre Traumata überwindet.
Eine junge Frau stellt sich in Israel ihrer Vergangenheit: Mirna Funk verwebt jüdische Geschichte mit einer Erzählung von Liebe und Gewalt und stellt die Frage, wie man familiäre Traumata überwindet.
In Ihrem Roman geht es um die Erinnerung an den Holocaust, um Gewalterfahrungen und die Bedeutung der eigenen Familiengeschichte. Wie kam es dazu?
Ich wollte schon lange ein Buch zu Gewalt und zur transgenerationalen Weitergabe von Traumata schreiben. Irgendwann haben sich mir die Protagonisten Nike und Noam vorgestellt und ihre Lebensgeschichte mit mir geteilt. Da wusste ich, dass ich ihnen die Möglichkeit geben wollte, diese Geschichte auch anderen zu erzählen.
Nike findet in Yad Vashem Informationen zum Schicksal ihrer jüdischen Urgroßmutter. Wie wichtig ist die Kenntnis der eigenen Familiengeschichte?
Sie ermöglicht erst eine Erkenntnis über sich selbst. Im Judentum ist diese Auseinandersetzung ausgeprägt, weil die Auseinandersetzung als solche, ob in Texten, Gedanken, Perspektiven und so weiter, sehr ausgeprägt ist. Es ist kein Zufall, dass der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, Jude war. Im Hinblick auf die deutsche Gegenwart fällt auf, wie wenig Interesse an sich selbst als Ergebnis einer Geschichte besteht. Wir sind nicht ohne die vor uns zu denken.
Es geht um Bruchstellen, persönliche und auch kulturelle ...
Ein jeder von uns hat Bruchstellen im Leben. Also Momente, die einen für immer verändert haben, die man vielleicht geheimhält. Es sind Bruchstellen, die offen bleiben, die uns nicht loslassen, obwohl wir das vielleicht wollen. Oft habe ich mich gefragt: Wie integriert man diese Bruchstellen, wie stark lässt man sie das eigene Leben beeinflussen, wie kommt man ihnen näher, ohne sie zum Feind zu erklären?
Wie kam es zu dem Titel „Zwischen Du und Ich“?
Ich habe Philosophie studiert und mich mit Martin Buber beschäftigt und mit der Frage, was eine Begegnung von einer Vergegnung unterscheidet. Nike und Noam erleben aufgrund ihrer Geschichte eine Vergegnung. Zwischen ihnen liegt – im übertragenen Sinn – so viel, dass es ihnen unmöglich ist, einander als Du im Buber’schen Sinn zu sehen. Bis zum Schluss wissen sie eigentlich nichts voneinander. Nur der Leser weiß alles über sie.
Was war für Sie beim Schreiben am schwierigsten?
Den Schmerz der beiden auszuhalten.
Interview: Irene Binal
Mirna Funk, geboren 1981 in Ost-Berlin, ist die Urenkelin des Schriftstellers Stephan Hermlin. Sie studierte Philosophie und Geschichte und schreibt für verschiedene Zeitungen über jüdisches Leben in Deutschland und die Bedeutung des Judentums. 2015 erschien ihr Debütroman „Winternähe“. Mirna Funk lebt mit ihrer Tochter in Berlin und Tel Aviv.
Mehr Infos unter: dtv.de/zwischen-du-und-ich