Ist die Musik eine Komplementärwelt, über die man Gefühle leichter und komprimierter transportieren kann als über Literatur?
Ich bin ausgebildeter Drehbuchautor, habe jahrzehntelang Drehbücher geschrieben. Und ich schreibe jetzt mit großer Freude Romane. Aber es gibt eines, das mir dabei fehlt, nämlich der Soundtrack. Ich kann beschreiben, was die Musik in mir auslöst, ich kann auch einen Raum so beschreiben, dass er vor dem geistigen Auge der Leser:innen entsteht, aber wie beschreibe ich einen Song wie „Across the Universe“? Beim Film macht die Musik die Emotion. Das fehlt mir beim Schreiben ... und wenn ich noch eines anfügen darf …
Aber klar. Musikhören damals, das war ein Ritual: ein Album aus der Hülle holen, auf den Plattenteller legen, die Songtexte lesen ... Man zappte nicht von Track zu Track, sondern ließ sich auf eine musikalische Reise ein. Kein Wunder, dass Vinyl eine Renaissance erlebt. Dieses Gefühl möchte ich auch mit dem Buch erzeugen, die Leser:innen auf eine Reise mitnehmen, sie so schmecken, riechen und erfahren zu lassen, als würden sie selbst in den Bus steigen und mit den Protagonisten nach Indien fahren ..., um sich selbst zu finden.
Nach welchen Kriterien haben Sie die Musik ausgewählt? Meine Figuren brechen um Weihnachten 1967 auf und kommen im Februar 1968 in Indien an, zu der Zeit, als die Beatles, Mike Love von den Beach Boys und Donovan auch dort sind. Ich habe recherchiert, welche Musikalben in dieser Zeit herauskamen, was damals wohl im Radio gespielt worden sein könnte, und habe dann die Songs ausgewählt, die zum Thema, der Stimmung und den handelnden Personen passten.
Zum Beispiel? Ich habe mir überlegt, wie es wohl für die beiden Brüder aus meinem Roman war, aus einer harten, grauen Harburger Vorstadtwelt zu kommen und „Strawberry Fields Forever“, „Magical Mystery Tour“ oder das Jahrhundertalbum „Sergeant Pepper“ zum ersten Mal zu hören. Wenn die Farben, die Themen und die Universalität dieser Musik Einzug halten; und wow, wenn man sich darauf einlässt und es wie zum ersten Mal hört, ist es wie ein Lichtstrahl aus dem Universum. Da will man raus in die große, weite Welt.
Sie sind bekannt dafür, dass Sie die Hintergründe Ihrer Geschichten akribisch recherchieren. Wie war es bei Kabul, einer wichtigen Station Ihres Romans? Die Inspiration dafür habe ich durch meinen im vergangenen Jahr verstorbenen Freund Roman Bunka erhalten. Er war ein großer Oud-Spieler (die arabische Laute, Anm. d. Red.), ein Weltmusiker, der Ende der 1970er Jahre zusammen mit der Krautrock-Band „Embryo“ eine Reise nach Indien gemacht hat.
Über den Werner Penzel den Dokumentarfilm „Vagabunden Karawane“ gedreht hat... Ja, das war total irre, die haben einen Bus gekauft, ihre Musikinstrumente eingepackt und sind einfach losgefahren. Sie haben ein Afghanistan erlebt, das es heute so nicht mehr gibt. Roman Bunka hat mir von großer Gastfreundschaft erzählt, von der offenen Stimmung in Kabul. Man ist damals viel offener und interessierter aufeinander zugegangen, das zeigt auch der Film. Die Einheimischen waren neugierig auf die Hippies, auf die Klamotten, auf die Musik. Es war klar: Ihr habt lange Haare und andere Werte, aber lasst uns zusammen essen, einander zuhören, miteinander Musik machen. Reisen war damals unverstellter; man ist ohne vorgefertigte Bilder losgezogen, bereit, die fremden Eindrücke aufzunehmen. Und bereit, sich durch die Erfahrungen zu verändern.