In Ihrem Roman geht es um Gustav Mahlers letzte Reise. Was fasziniert Sie an Mahler?
Er war natürlich einer der größten Musiker aller Zeiten. Außerdem ein Grenzgänger. Randständig. Er hat gebrannt, für die Musik und für die Liebe. Ein lebenslang entzündeter Mensch. Wenn es um seine Interessen und Ziele ging, konnte er ein gnadenloser Despot sein, gleichzeitig hatte er etwas sehr Kindliches. Zornig. Wütend bis zur Selbstzerstörung. Verletzlich. Ein Flämmchen im Sturm seiner eigenen Erregung.
Was bedeutet Ihnen Mahlers Musik?
Ich bin seiner Musik vor vielen Jahren zum ersten Mal begegnet. Es waren nur ein paar Takte aus der 1. Symphonie, die haben mich damals wie aus heiterem Himmel getroffen. Seitdem trage ich sie mit mir. Warum weiß ich nicht. Sobald du Musik beschreiben kannst, ist es entweder schlechte Musik oder eine schlechte Beschreibung. Vieles an der Musik ist mir allerdings zu viel. Ich ertrage sie nur in kleinen Dosen. Musik soll mich anwehen, nicht bestürmen.
Haben Sie beim Schreiben Mahler gehört?
Nein. Ich halte keine Musik aus beim Schreiben. Das Geschriebene soll eine eigene Harmonie sein. Oder von mir aus eine eigene Disharmonie. Überhaupt sollte die Umgebung möglichst geräuschfrei sein. Das ist in Berlin natürlich ein Problem. Ich höre aber auch sonst nicht mehr oft Musik, es ist mir meistens zu viel. Am liebsten habe ich es still. Schreiben heißt für mich: der Stille Raum geben – und sie ertragen. Übrigens sollte der Roman ursprünglich „Die Stille“ heißen. Wir haben den Titel dann aber gelassen, weil er inhaltlich doch nicht ganz gepasst hätte.
Ihr Roman ist melodisch und melancholisch, fast wie eine in Worte gegossene Mahler-Symphonie. Wo liegt für Sie die Verbindung zwischen Literatur und Musik?
Literatur ist Klang, auch wenn er nach außen nicht hörbar ist. Und Klang öffnet Bilder.
Spielen Sie selbst ein Instrument?
Ich produziere den ganzen Tag unhörbare Töne. Es rumort ständig in meinem Kopf. Ich habe mal sehr schlecht Klarinette gespielt. Und ganz früher war ich Schlagzeuger in einer Punkband. Aber selbst für die war ich zu schlecht. Es gab drei Konzerte, eines in der Wiener Arena. Dort habe ich das Schlagzeug ruiniert, das war es dann.
Ein Zitat aus Ihrem Buch: „Man schlägt einen Ton an, und der schwingt dann weiter im Raum. Und trägt doch schon das Ende in sich.“ Wie haben Sie den Ton für diesen Roman gefunden?
Indem ich ihn nicht gesucht habe.
Wie haben Sie für Ihren Roman recherchiert?
Das Übliche. Man liest dieses und jenes, schaut da und dort nach, schließlich muss es nachvollziehbar sein. Mahler hat ja gelebt, also sollte man ihn nicht verraten. Wobei gerade das Nachvollziehbare, „Stimmige“ oft der größte Verrat ist.
Wie lang hat die Recherche gedauert?
Das kann man gar nicht als Recherche bezeichnen. Ich wollte ja keiner historischen Figur hinterherschreiben. Um dem Mahler treu zu bleiben, habe ich ihn sozusagen erfunden.
Haben Sie bei der Arbeit etwas Neues über Mahler erfahren?
Alles war neu und interessant. Ich kannte ihn nicht. Nichts kannte ich. Das wäre auch langweilig. Sobald ich etwas kenne, muss ich es nicht mehr aufschreiben. Schön waren manche Kleinigkeiten. Dass er zum Beispiel immer wieder scheinbar unmotiviert mit dem Fuß aufstampfte. Einfach so beim Stehen oder Gehen. So etwas gefällt mir.
Sie begeben sich tief hinein in Gustav Mahlers Gedanken- und Gefühlswelt. Wie sind Sie vorgegangen, um sich diesem Mann anzunähern?
Man kann sich nicht in jemanden ein-, sondern höchstens an jemanden heranfühlen. Das habe ich versucht. Letztendlich geht es aber gar nicht darum, einem Menschen oder einem Thema oder was auch immer so nahe wie möglich zu kommen. Als Schriftsteller muss man die Welt nicht verstehen. Man muss nur sein Unverständnis über die Welt ausdrücken können.