Sophie Hardcastle: UNTER DECK

Ungeheuerliches Meer

5. Mai 2021

„Auf See hört niemand deine Schreie“ – schon gar nicht, wenn fünf ­Männer die einzige Frau an Bord demütigen und sexuell bedrängen. Zum Schweigen bringen sie Oli allerdings nicht: Die See ist ihre Verbündete.

Dass die junge Australierin Oli sich bei der Überführung einer Yacht nach Auckland einem Männerteam anschloss, war ein Fehler. Aus gierigen Blicken und anzüglichen Bemerkungen wird draußen, in internationalen Gewässern, eine Vergewaltigung, die ihr buchstäblich den Atem raubt. „Wenn du es nicht wolltest“, höhnt der Skipper, „warum hast du dann nicht einfach geschrien?“ 

Vor Kurzem erst ist Olis geliebter Großvater gestorben, mit ihren konformistischen Eltern und ihrem Freund wurde sie noch nie recht warm. Mac und dessen Freundin Maggie dagegen lehrten Oli die Sprache des Meeres und zeigten ihr seine Wunder: Korallenriffe, kalbende Gletscher, das grüne Leuchten am Horizont.  Oli ist (wie Sophie Hardcastle) synästhetisch begabt: Walgesänge etwa sind für sie Strudel aus Violett und Preußischblau. Schmerz ist dunkellila. Nun erfährt Oli, dass der uralte Ozean in all seiner leuchtenden Pracht auch dunklere Farben, Grauen und nackte Gewalt bereithält. 

Der dritte Roman der Schriftstellerin, Künstlerin und Drehbuchautorin Sophie Hardcastle, ist nicht nur eine poetische Hymne auf Mutter Meer, sondern auch ein Beitrag zur MeToo-Debatte. Aus Scham und Schande kämpft sich Oli schließlich ins Leben zurück und findet am Ende im gelobten Land Antarktika eine eigene Sprache für ihre Heilung. Und in der Literatur ist Hardcastles kraftvolle, farbige Stimme jetzt nicht mehr zu überhören. 

TRA

Sophie Hardcastle
Unter Deck

Übersetzt von Verena Kilchling.
Kein & Aber,  320 S., 23,– €,
ISBN 978-3-0369-5831-6

Über die Autorin

Sophie Hardcastle wurde 1993 in Australien ­geboren. Sie studierte in Oxford Englische Literatur und in Sydney Kunst mit Schwerpunkt Malerei.  „Unter Deck“ ist ihr erster Roman in deutscher ­Übersetzung.