Zwischen Hoffnung und Verzweiflung
Vor Kurzem erst wurde die „Kopenhagener Trilogie“ der dänischen Autorin Tove Ditlevsen wiederentdeckt. Jetzt erscheint ihr bewegender Roman „Gesichter“.
Vor Kurzem erst wurde die „Kopenhagener Trilogie“ der dänischen Autorin Tove Ditlevsen wiederentdeckt. Jetzt erscheint ihr bewegender Roman „Gesichter“.
Lise ist eine Frau am Abgrund, gequält von Ängsten, Selbstzweifeln, Depressionen. Ihr Mann betrügt sie schamlos, und doch fürchtet sie nichts mehr, als von ihm verlassen zu werden. Obwohl erfolgreich als Kinderbuchautorin, hat sie Angst, nichts mehr schreiben zu können. So flüstern ihr Stimmen aus Heizkörpern und Rohren, fremde Masken und Gesichter zu, was sie sich selbst vorwirft: Du hast versagt als Autorin, Frau, Mutter. Nach einem Suizidversuch wird die geschlossene Anstalt für Lise zum Freiheitsraum, zu einem Ort behutsamer weiblicher Selbstermächtigung.
Der Bericht aus dem Innern einer Psychose zerreißt einem das Herz, gerade weil die Autorin so analytisch-distanziert und zugleich poetisch über ihre Schreib- und Ehekrisen und die Verrückungen von Wahrnehmung und Wirklichkeit schreibt. Ditlevsen ist eine Schwester von Sylvia Plath, eine Vorläuferin von Rachel Cusk und Annie Ernaux, zu früh gekommen als Feministin wie als Biografin ihrer Scham. In ihrer „Kopenhagener Trilogie“ erzählte sie direkt und ungeschönt von ihrer ärmlichen Kindheit, demütigenden Jobs als Dienstmädchen und vier gescheiterten Ehen, von Abtreibung, Sucht und Psychiatrie.
Der Roman „Gesichter“, 1968 veröffentlicht und jetzt von Ursel Allenstein souverän neu übersetzt, ist Ditlevsens Meisterwerk. Die Sprache, nüchtern und dabei so intensiv wie expressiv, geht bis an die Grenze des Sagbaren und durchbricht tapfer alle Schranken zwischen Verzweiflung und Hoffnung, schizophrener Dunkelheit und Hellsicht.
MH
Tove Ditlevsen (1917 – 1976), geboren in Kopenhagen, stammte aus der Arbeiterklasse und schrieb offen über die Höhen und Tiefen ihres Lebens. Heute gilt sie als eine der großen literarischen Stimmen Dänemarks