Warum lassen Sie Ihren Roman eigentlich gerade im Jahr 1945 beginnen?
Klaus Kordon: Es war meine Absicht, die letzten Kriegsmonate 1945 und die Flucht der Deutschen aus den Ostgebieten des Deutschen Reichs und den schwierigen Neuanfang dieser Menschen im „Altreich“ zu schildern, in dem sie ja nur in den seltensten Fällen wirklich willkommen waren.
Ich-Erzählerin des Romans ist die 16-jährige Rena. Sie flieht mit ihrer Mutter und den drei Geschwistern vor den russischen Soldaten nach Berlin. Wie müssen wir uns ihre Situation vorstellen? Sie erwischen gerade noch den letzten Zug, der sie aus Posen wegbringt. In der Ferne ist schon Kanonendonner zu hören. Im von Flüchtlingen überfüllten Berlin können sie nicht bleiben. Sie werden in einem norddeutschen Dorf einquartiert, in dem sie – auch die Kinder – schwere Stall- und Feldarbeiten verrichten müssen und Rena sich in einen Jungen verliebt, dessen Vater im KZ umgebracht wurde. Im Sommer 1945 kehrt Renas Vater zurück, er konnte aus russischer Gefangenschaft fliehen. Im zerstörten Frankfurt am Main muss die Familie den Neuanfang wagen. Ein Bunkerleben inmitten von Ruinen.
Nach und nach beginnt Rena sich von der Nazi-Ideologie
zu lösen und eigenständig zu denken. Ihr Vater dagegen weigert sich, seine Mitschuld an den Naziverbrechen einzugestehen. Gibt es ein reales Vorbild für die Hauptfigur? Nein. Renas Vater steht für die vielen, die früh Mitglieder der NSDAP und der SA wurden, weil sie an die Sprüche der Nazis glaubten, die behaupteten, Deutschland aus wirtschaftlicher Not und hoher Arbeitslosigkeit befreien zu wollen. Rena selbst war Scharführerin im Bund Deutscher Mädel und muss nun erkennen, dass in gewisser Weise auch sie „mitschuldig“ geworden ist. Ihr Vater lehnt jede Mitschuld ab. Sein Argument: Keiner konnte wissen, wohin Hitlers Politik mal führen würde. Dass andere klüger waren und dafür leiden mussten, schiebt er von sich weg.
Auf welche Reaktionen hoffen Sie bei Ihren Leserinnen und Lesern? Dass sie ein Bild von der Zeit gewinnen, die sich viele heute nur noch schemenhaft vorstellen können. Ich weiß aus vielen Leserbriefen, dass solche Romane notwendig sind. Aber natürlich möchte ich meine Leser auch gut unterhalten.
Interview: Verena Hoenig